In der zweiten Maihälfte des letzten Jahres kam es zu einem Masseneinflug der großen Moosjungfer, Leucorrhinia pectoralis (Charpentier, 1825) im Westen Deutschlands, den Benelux-Ländern sowie in weiten Teilen Mitteleuropas. Dieses Ereignis wurde aufgrund des plötzlichen flächendeckenden Vorkommens und den daraus resultierenden Nachweisen einer überaus hohen Individuenzahl der Art von Libellenkundlern als "Pectoralis-Phänomen" bezeichnet. Bei der großen Moosjungfer handelt es sich um eine großlibellenart aus der Familie der Moosjungfern (Leucorrhininae). Sie wird in der Roten Liste für bedrohte Tierarten in der höchsten Stufe 1 (= vom Aussterben bedroht) aufgeführt. Darüber hinaus ist sie eine der wenigen Tierarten, die gemäß den FFH (Fauna-Flora-Habitat) Richtlinien gemäß Anhang II und IV europaweit einen besonderen Schutz genießen. Die Autoren berichten im Folgenden über die Zusammenhänge, die aus ihren eigenen Beobachtungen und den ihnen vorliegenden Daten zu diesem Einflug geschlussfolgert werden können.
Einleitung
Erste Belegaufnahmen der großen Moosjungfer gelangen den Autoren bereits wenige Tage nach Bekanntwerden des mutMaßlichen Masseneinfluges der Art. Anfang Juni konnten etwa ein Dutzend Männchen an Gewässern in der Kölner Bucht dokumentiert werden. Im gleichen Zeitraum kam es dort auch zu Fortpflanzungsaktivitäten der Tiere. Eines der Habitate ist einer der wenigen Fundorte an welchen auch die Nordische Moosjungfer in Vergesellschaftung gefunden werden konnte, was die folgenden Aufnahmen belegen:
Zuverlässige Belegaufnahmen sowie Mitteilungen persönlich bekannter Odonatologen zeugen von Funden der Art an Gewässern im NSG "Wahner Heide". Hier wurde die Art im Bereich der Südheide am Fliegenberg nachgewiesen. Statistiken zufolge stammt der letzte Nachweis der Art für dieses Naturschutzgebiet aus dem Jahr 1925. Weitere sichere Beobachtungen stammen aus dem Gebiet des Staatsforstes Siegburg - Stallberg. Eine Vergesellschaftung mit der Nordischen Moosjungfer konnte hier jedoch nicht dokumentiert, bzw. festgestellt werden.
Ende Juni 2012 konnten nur noch wenige Imagines beider Arten beobachtet werden. Am 17. Juni wurden lediglich noch 3 Männchen der großen Moosjungfer und 1 Männchen der Nordischen Moosjungfer gefunden.
Mögliche Ursachen und Diskussion
Zum Zeitpunkt des Masseneinfluges herrschte eine beständige Hochdruckwetterlage mit reichlich Sonnenstunden und teils kräftigem Ostwind. Daher spricht vieles für eine starke Zuwanderung aus dem Norden und dem Osten Europas. Dies setzt voraus, dass sich die Art in weiten Teilen dieser Gebieten in den Jahren zuvor sehr gut entwickelt hat. Eine Gesamtpopulation, verteilt über ein derart großes Einfluggebiet ist nur sehr schwer, wenn nicht unmöglich abzuschätzen. In diesem bisher einmaligen Fall dürfte es sich jedoch um eine Größenordnung von mehreren Hundertausend Individuen handeln. Die günstigen Witterungsverhältnisse wurden von den großen Moosjungfern ausgenutzt, um sich stark nach Westen und Süden hin auszubreiten. Strecken von Nordostdeutschland oder von Polen bis in die neu besiedelten Gebiete stellen für aktiv fliegende großlibellen kein sonderliches Problem dar. Insbesondere dann nicht, wenn günstige Winde den Flug unterstützen. Das Auffinden von Gewässern, selbst wenn es von Wald umgeben ist, ist für die Art ebenfalls unproblematisch (Bönsel, 2006).
Das letztjährige extrem starke Auftreten von Leucorrhinia pectoralis kann somit auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden:
1) Auf eine allgemeine Populationszunahme in den Stammgebieten
2) Auf möglicherweise kleinere Ansiedlungen, sozusagen als "Vorposten" und
3) Aktuell zusätzlich auf einen starken Expansionsflug aus dem Norden und dem Osten infolge optimaler Witterungsbedingungen.
Bei der Ausbreitung der als eurosibirisches Faunenelement geltenden Art spielen Temperaturkomponenten offensichtlich keine Rolle. Für die Besiedelung neuer Gewässer sind andere wichtige Faktoren von Bedeutung. Entscheidend sind vor allem die Wasserhaushaltssituation und die Biotopqualität, welche natürlich auch vom Klima abhängen. So ist ein Fischbesatz, verschiedene Stadien der Sukzession und Eutrophierungsgrade für die künftige Existenz der Art ausschlaggebend. Bei einer larvalen Entwicklungszeit von zwei bis drei Jahren wird man frühestens in 2014 feststellen, an welchen Biotopen sich die Art erfolgreich reproduziert haben wird.
Dank
Die Verfasser danken Herrn Dr. Jürgen Ott für die Manuskriptvorlage. Dem AK Libellen-NRW e.V., insbesondere Herrn Dipl.-Biol. Claus-Jürgen Conze danken wir für die Erfassung und die Verarbeitung unserer persönlichen Daten.
Literatur
Ott, J: Zum starken Auftreten der großen Moosjungfer - Leucorrhinia pectoralis (Charpentier, 1825) im Jahr 2012 nebst Bemerkungen zu Leucorrhinia rubicunda (Insecta: Odonata)
Bönsel, A. Mauersberger, R. Wachun, R. & V. (2010) Steckbriefe der in Mecklenburg-Vorpommern vorkommenden Arten der Anhänge II und IV der FFH - Richtlinie.
Klaas Douwe/B. Dijkstra: Field Guide of the Dragonflies in Britain and Europe.
Sternberg/Buchwald: Die Libellen Baden-Württembergs, Band 2, großlibellen, S. 415-427
Wildermuth H: Habitate und Habitatswahl der großen Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis).
Populationsbiologie von Leucorrhinia pectoralis. (Anisoptera: Libellulidae - Libellula 12: S 269-275
Menke, N, & Olthoff, M. (2009): Individuenreiche Vorkommen der großen Moosjungfer (Leucorrhinia pectoralis) in Westfalen im Jahr 2008. Masseneinflug oder übersehene Vorkommen. Natur und Heimat Nr. 62
H.- W. Wünsch & H. Gospodinova: Die Libellen Nordrhein-Westfalens. CD-ROM, Band 2, großlibellen, 4. aktualisierte Auflage 2012.
Verfasser des Artikels:
Heide Gospodinova & H. - Willi Wünsch
E-Mail: willi@waldschrat-online.de
Internetpräsenz: www.waldschrat-online.de